X-no-archive: yes
Post by Ansgar NaberNachdem ich sieben Jahre lang an Schmerzattacken in den Füßen litt, wurde
bei mir Gicht diagnostiziert. Ich habe schätzungsweise 20 Mal diese
Schmerzen bekommen und Unmengen an Diclofenac eingeworfen. Mein Hausarzt
hielt noch vor zwei Monaten einen Harnsäurewert von 8,7 für normal und
schloß daher eine Gicht aus. Ich bin Laie. Was sagen Experten dazu?
ich bin kein Experte, aber es wäre wünschenswert, zu wissen,
wie deine Harnsäurewerte im Serum und Urin sind. Gleichzeitig
wäre ein Nierenstatus (Kreatininclearance) angezeigt. Ist hier
vom Hausarzt damals nichts laborchemisch initiiert worden?
Es ist an sich schon ein Kunstfehler, bei einem Harnsäurewert
von 8,7 mg/dl keine Anti-Gicht-Medikation zu verabreichen,
weil die Indikation ab Werten von 8,0 mg/dl gegeben ist.
Da wurde ärztlicherseits kunstfehlerhaft geschlafen,
denn die von Dir beschriebenen Schmerzattacken sind ein
absolut eindeutiges klinisches Zeichen für eine beginnende
Gichtsymptomatik. Diclofenac in hoher Dosis einzuwerfen, ist
dabei nicht sonderlich sinnvoll, kann aber eingesetzt werden.
Das Mittel der Wahl beim Gichtanfall ist Colchicin, gefolgt
von Indometazin, ggf. flankiert durch zeitweise Gabe von Kortiko-
steroiden, die die Entzündungssymptomatik weiter mindern.
In der Mehrzahl der Gichtfälle (95%) liegt eine "Ausscheidungs-
schwäche" für Harnsäure vor, die Nierenfunktion ist also beein-
trächtigt. Das gehört abgeklärt. Es könnte allerdings ebenso
sein (5% der Fälle), dass eine Überproduktion von Harnsäure
vorliegt. Das sollte man abklären.
Post by Ansgar NaberVor einer Woche stellte eine Ärztin bei mir einen Harnsäurespiegel von 10,9
fest. Ich hatte allerdings keine Beschwerden.
dass ist mal eine schlaue Ärztin, bei der solltest Du bleiben ;-).
Dass Du keine Symptome hast, ist noch gut. Im Bereich von
Serum-Harnsäurespiegel von 7,0-7,9 mg/dl liegt die Chance auf
einen Gichtanfall bei 2,0%, ab 8,0-8,9 mg/dl sind es 4,1%,
zwischen 9,0-9,9 mg/dl steigt das sprunghaft auf 19,8% und
über 10,0 mg/dl erleiden 30,5% der Betroffenen eine Gichtarthritis.
Post by Ansgar NaberDie Ärztin sagte mir heute,
ich müsse bis an mein Lebensende Allopurinol nehmen.
Allopurinol ist in der Gichttherapie das 1. Mittel der Wahl. Es senkt
die Produktion von Harnsäure in Dosen von 100-300 mg/d. Neben-
wirkungen sind dabei sehr selten, meist gastrointestinale Probleme
(Durchfall) oder Überempfindlichkeitsreaktionen, sofern man auf
Allopurinol allergisch reagiert. Extrem selten kommt es zu einer
Vaskulitis.
Post by Ansgar NaberSollte ich nicht erst
einmal versuchen, das Problem in den Griff zu kriegen, indem ich abnehme,
weniger saufe und mich auf eine purinarme Diät umstelle oder muß ich sofort
anfangen Medikamente zu schlucken?
Alkohol solltest Du generell weglassen, denn Alkohol hemmt die Ausschei-
dung von Harnsäure in der Niere und steigert somit den Serum-Harn-
säurewert. Das geschieht schon in vergleichsweise geringen (normalen)
Dosen. Ergo cancle alles, was Alkohol enthält. Bei einem Besäufniss
sollte man wissen, dass (sofern vorher schon jahrelang niedrigschwellig
Gicht bestand) dies einen akuten Gichtanfall auslösen kann.
Purinarme Diät ist in der Realität nicht durchführbar. Ich liste Dir einmal
purinarme-, mittelgradig purinhaltige und stark purinhaltige Lebensmittel
auf.
Purinfreie Nahrungsmittel sind Milch und Milchprodukte (Joghurt, Buttermilch,
Speisequark, fettarme Käsesorten), Eier, Fette, Weißmehl/-brot, Teigwaren,
Honig, Zucker, Obst, Gemüse, Obstsäfte, Tee, Kaffee und Kakao. Wenn
Du Dir damit einen Diätplan aufbauen möchtest, nur zu ;-)
Lebensmittel mit mäßigem Puringehalt (30-40 mg/100 g) sind Schwarzbrot,
Rosenkohl, Bouillon, Mais und Reis.
Deutlich purinhaltig (50-200 mg/100 g) sind hingegen Fleisch, Wurstwaren,
Fisch, Krustentiere (Hummer), Muscheln, Hülsenfrüchte, Spargel, Spinat und
Blumenkohl.
Als besonders purinreich (> 200 mg/100 g) gelten Bries, Hirn, Leber, Nieren,
Fleischextrakt, Anchovis, Sardellen, Sardinen und aus diesen Sorten
hergestellte Lebensmittel.
Es empfiehlt sich also, besonders purinhaltige Lebensmittel aus dem
Speiseplan zu streichen und den Anteil an deutlich purinhaltigen Lebens
mitteln zu senken.
Prinzipiell hilft dies aber nur marginal bei Gicht, denn das Problem ist
nicht die Aufnahme von Purinhaltigen Produkten, sondern eine gestei-
gerte Purinbildung in der Leber.
Post by Ansgar NaberEine konkrete Frage zur Ernährung: Bisher habe ich nur Vollkornbrot
gegessen. Soll ich mich jetzt auf Weißbrot umstellen?
das wird wenig bringen. Auch das fragwürdige Gerede hinsichtlich
Rohkost (die Ursache für Gicht läge in der Ernährung und die falsche
Behauptung, dass es auf den Unterschied zwischen roh und gekocht
ankomme) seitens einschlägig bekannter Dritter ist hier nicht ziel-
führend. Die Minderung der Zufuhr von Purinen über DNA-haltige
Speisen ist eine Sache, das Herabregeln der überbordenden Purin-
produktion jedoch ist das Entscheidende. Im übrigen wird bis zu
1/3 der Purinproduktion im Faezes entsorgt.
Post by Ansgar NaberUnd noch eine Frage zum Essen: Ich esse sehr gerne Oliven und befürchte,
dass deren Puringehalt sehr hoch sein könnte. Im Web gibt es scheinbar keine
vollständige Tabelle mit den Purinwerten. Ich habe drei Stunden danach
gesucht. Wer weiß den Purinwert von Oliven?
ich kenne den Puringehalt von Oliven auch nicht. Ich würde meinen, es wäre
maximal eine gering purinhaltige Speise.
Post by Ansgar NaberZwei Ärzte haben mich völlig inkompetent beraten.
tja, da sagst Du mir leider überhaupt nichts neues. Nur weil
"Approbation" draufsteht, muss noch lange nicht "Ahnung"
drin sein.
Post by Ansgar NaberMein Hausarzt sagte, Fisch sei gut bei Gicht.
... dann hat der Mann aber nicht den blassen Schimmer einer
Ahnung von seinem Job. Gerade Fisch ist deutlich purinhaltig. Er sollte
weniger schwätzen, sondern sich auf den aktuellen Stand der Dinge
bringen. Dies schon deshalb, weil er kunstfehlerhaft bzw. grob fahr-
lässig handelt.
Post by Ansgar NaberIch habe darauf mit Hochgenuss und bestem Gewissen
Kieler Sprotten und Matjes verspeist. Ein großer Fehler, wie ich jetzt weiß.
Mach Dich deswegen nicht fertig, das ist kein Weltuntergang. Du kannst
auch (in Maßen und orientierend an Deinen Harnsäurewerten!) auch in
Zukunft ab und an ein Fischchen verzehren, aber so viel wie früher wird
das nicht mehr.
Post by Ansgar NaberDie Ärztin sagte, jegliches tierische Eiweiß sei schädlich.
Jaein. Im Prinzip hat sie zwar recht, weil alles, was DNA enthält, auch
die Purinproduktion fördert, aber man kann tierischem Eiweiss in der
heutigen Welt überhaupt nicht ausweichen. Man findet es in jeder
Gemüsebrühe und jedem Fertigessen.
Post by Ansgar NaberDabei enthält z. B. Milch überhaupt kein Purin. Dass Linsen schädlich sind,
wusste sie auch nicht.
Da merkst Du mal, was Linsen als Hülsenfrüchte für Früchtchen
sind ;)
Post by Ansgar NaberIch bin schwer enttäuscht von so viel Dilletantismus. Dieser
Dilletantismus kann auf Dauer tödlich sein.
Das ist ein Fortbildungsproblem im Bereich der Niedergelassenen
in der BRD. Die haben leider nicht immer selten keinen blassen Dunst
von den üblichen, häufig auftretenden chronischen Krankheiten und sie
verordnen auch falsch oder zu niedrig dosiert.
Post by Ansgar NaberIch freue mich über jeden qualifizierten Rat.
engmaschige Überwachung Deines Harnsäurewertes (alle 4 Wochen)
langsames hochdosieren des Allopurinols.
Weglassen stark und deutlich purinhaltiger Lebensmittel sowie Alkohol.
Täglich nur einmal Fisch, Fleisch oder Wurst (100 g bis höchstens 150 g),
Innereien vollständig meiden. Eiweißzufuhr sollte nicht mehr als 12-15
Energieprozent ausmachen, wobei Milch und Milchprodukte sowie Brot
bevorzugt werden sollten.
Kontrolle Deiner Leber- und Nierenwerte in regelmäßigen Abständen
(anfangs vierwöchentlich, dann viertel- und halbjährlich oder bei akuten
Beschwerden).
Wenn das Allopurinol (Hemmstoff der Harnsäureproduktion) nicht den
gewünschten Erfolg bringt, kann über die Einnahme eines die Harn-
säureausscheidung über die Niere beschleunigenden Mittels (z.B.
Benzbromaron, Probenicid, Sulfinpyrazon) nachgedacht werden, aber
nur dann, wenn die Nierenfunktion noch in Ordnung ist.
Generell solltest Du wissen, dass Gicht auf Dauer auch die Nieren
schädigt - unabhängig davon, ob Du Dich an Diäten hälst oder die
Arzneimittel konsequent einnimmst. Es kommt deshalb darauf an,
die Harnsäurewerte im Serum möglichst abzusenken und dies
dauerhaft. Dazu ist Allopurinol am besten geeignet. Es senkt nach
Aufnahme innerhalb weniger Stunden den Harnsäurewert im Serum
deutlich ab.